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Die Zeit…

28.01.2023

Bei Wikipedia steht: „Die Zeit ist eine physikalische Größe.“ Und ich würde gerne ergänzen: „…und keiner hat sie.“ Das ist ein Phänomen, dass ich bereits seit einigen Wochen intensiv bei mir und meinem Umfeld beobachte. Niemand hat Zeit! Selbst die RentnerInnen laufen (in ihrem Tempo) wie im Hamsterrad durch das Leben und haben einfach keine Zeit!

Aber ist das ein wahrer Gedanke? Haben wir wirklich keine Zeit? Oder ist es das, was wir daraus machen? Bei meinen Beobachtungen ist mir aufgefallen, wofür ich meine Zeit verwende. Gerne bei Facebook oder Instagram, um zu sehen, was die anderen gepostet haben. Da sind schnell 1 – 2 Stunden weg, die sich aber wie 10 Minuten anfühlen. Im Gespräch mit FreundInnen habe ich erfahren, dass stundenlanges Fernsehen bei ihnen ebenfalls viel Zeit in Anspruch nimmt. In Familien gibt es oft Serien, die miteinander geguckt werden. Viele Streamingdienste bieten Filme und Serien an, mit denen man sich nicht nur Stunden, sondern Tage und auch Wochen beschäftigen kann. Meine Freundin berichtete, dass sie selbst ihre eigene Lieblingsserie guckt, aber auch eine gemeinsame Serie mit ihrem Mann frönt und noch eine dritte Serie gemeinsam mit ihrem Sohn. Ganz schön viel Zeit, die dabei in einer Woche drauf geht.

Aber wenn ich nach Zeit für Sport, gesunde Ernährung oder für sich selbst gefragt habe, dann fehlt sie. „Dafür habe ich leider keine Zeit! Hätte ich gerne, habe ich aber nicht!“ Meine Meinung ist, dass jeder seine eigenen Prioritäten setzt. Manche ganz bewusst, andere völlig unbewusst. Sie klagen und beschweren sich über die mangelnde Zeit, sind aber stundenlang online. Ich wollte in den letzten 14 Tagen ganz bewusst meinen Fokus auf die Zeit setzen und habe mir in jeder Situation bewusst gemacht, ob das, was ich vor habe, meine kostbare Lebenszeit wert ist. Eine Stunde auf Instagram oder lieber eine Stunde Sport? Was macht mich glücklicher, was zufriedener? Da musste ich nicht lange überlegen. Eine Stunde Fernsehen oder ein Spaziergang an der frischen Luft? Auch hier war die Entscheidung klar. Es gab in den letzten 14 Tagen einige Herausforderungen für mich, die Zeit von mir gefordert haben. Sollte ich mich darüber ärgern? Nein, ich habe mir die Zeit einfach genommen. Denn wenn jemand von den Lieben krank wird, verschiebt sich die Wahrnehmung.

Die Autorin Nicole Staudinger beschrieb während der Coronazeit in ihrem Podcast „Scheiter heiter,“ wie sie nach überstandener Chemotherapie voller Glück in der Kirche saß und mit einigen anderen Müttern die letzte Probe ihrer Kommunionskinder verfolgen durfte. Sie beschrieb, dass sie vor Dankbarkeit weinte, diesen Augenblick miterleben zu dürfen, da nicht klar war, ob sie diese Krankheit überleben würde. Drei Mütter, die eine Reihe hinter ihr saßen, tauschten sich darüber aus, wie stressig die Vorbereitungen wären, Friseurtermine, Kleidung aus der Reinigung holen, Kuchen backen, Essen kochen etc. All diese Sachen betrafen sie nicht. Ohne Haare auf dem Kopf und wenig Anspruch auf Perfektion, den Fokus nur auf das Hier und Jetzt gerichtet mit den Worten: „Heute wird nicht gestorben!“ Sie wechselte ihren Sitzplatz, um in Ruhe ihre Demut und Dankbarkeit genießen zu können, wusste sie doch, dass sie selbst vor ihrer Krankheit wahrscheinlich genau so unbewusst gesprochen und gehandelt hätte. Einige Wochen später, so berichtete sie in ihrem Podcast, rief eine der drei Mütter bei ihr an. Gerade hatte sie ihre Krebsdiagnose erhalten und stand unter Schock. Sie sagte zu ihr: „Wenn ich daran denke, wieviel Zeit ich damit verbracht habe, mit meinem Handy herum zu daddeln. Wie oft hat mich meine Tochter angesprochen und wie oft habe ich sie weg geschickt mit der Begründung, gerade keine Zeit für sie zu haben…. Diese Zeit kommt nicht zurück, oder?“ – „Nein,“ antwortete sie, „diese Zeit kommt nicht zurück.“ Einige Wochen später ist diese Mutter gestorben und hinterließ ihren Mann und drei kleine Kinder.

Warum sind es immer diese Ereignisse, die kommen müssen, um uns aufzuwecken? Uns zu zeigen, wie wertvoll unsere Lebenszeit ist und in wie vielen Bereichen wir sie verschwenden. Ein lieber Herzensmensch, Mitte 70, hat mir kurz vor seinem Tod folgendes gesagt: „Wo ist nur die Zeit geblieben? Jetzt bin ich schon so alt, aber es fühlt sich einfach nicht so an! Wenn ich mich an früher erinnere, dann ist es so, als wäre es gestern gewesen, aber es ist Jahrzehnte her. Wie kann es sein, dass mein Leben an mir vorbei geflogen ist…?“ Und mit diesen Erkenntnissen darf ich mich heute fragen: „Möchte ich das auch?“ Das mein Leben an mir vorbei fliegt und ich gar nicht bemerke, wie es vergeht? Das ich mich auf einmal an der Schwelle des Todes befinde und mich frage, wie ich so schnell hierhergekommen bin? Wo ich doch immer gedacht habe, dass mir noch so viel Zeit bleibt?

Wir sollten uns nicht darauf verlassen, noch unendlich viel Zeit zu haben. Niemand hat ein Anrecht auf eine bestimmte Lebenszeit! Wir sollten anfangen, das Leben zu leben und nicht unsere Zeit damit zu verschwenden, uns vom Leben abzulenken, indem wir uns in Serien, Filmen oder andere Welten flüchten. Unsere Welt kann so schön sein, wenn wir den Fokus auf das Schöne lenken. Unsere Mitmenschen können so liebevoll und offen sein, wenn wir unseren Fokus darauf lenken, selbst liebevoll und offen zu sein und erkennen, wenn uns ein solcher Mensch gegenüber steht. Unsere Tiere und Pflanzen sind so einzigartig, dass es ein Geschenk ist, Zeit mit ihnen zu verbringen und in der Natur. Das ist meine Meinung. Wie denkst du darüber? Hast du es dir schon bewusst gemacht? Genießt du dein Leben ganz bewusst mit Liebe und Dankbarkeit oder kommen dir bei diesen Worten nur bittere Gedanken in den Sinn? Lenkst du dich extra ab, um nicht darüber nachdenken zu müssen, was in deinem Leben bisher schmerzhaft war? Über wen oder welche Themen du nicht mehr nachdenken möchtest? Ich habe so viele Menschen erlebt, die von einer Diagnose wach gerüttelt wurden und DANN entschieden haben: „Jetzt will ich leben! Jetzt will ich meine Lebenszeit bewusst genießen!“ Aber leider blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Und die Zeit, die sie hatten, verbrachten sie in Krankenhäusern und mit schmerzhaften Therapien. Keine Zeit mehr zu leben! Keine Gelegenheit mehr zu leben! Verpasst!

Ich möchte das für mich nicht. Und so entscheide ich bewusst, mit wem und mit was ich meine kostbare Lebenszeit verbringe, damit ich am Ende meines Lebens mit einem Lächeln und tief empfundener Dankbarkeit gehen kann. 

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